Vorwort: Von Gramsci zu Orbán

Dauer: 03:15

Viktor Orbán weiß, dass Ideologie und Politik nicht trennbar sind. Eine angepriesene Ideologiefreiheit und Handeln nach „gesundem Menschenverstand“ mögen für viele ansprechend sein. Doch ihnen mangelt es sowohl an unterschwelliger Bindungskraft, einer langfristigen Zielsetzung sowie einem politischen Lagebewusstsein, inklusive Freund-Feind-Unterscheidung. Um dem Liberalismus Herr zu werden, muss man seine eigene alternative Theorie ausarbeiten und kultivieren.

Orbáns Partei Fidesz – zu Deutsch „Bund Junger Demokraten“ – wurde 1988 als demokratische und liberale Bewegung gegründet. Sie trat herausfordernd und mit direkter Sprache gegen die ausdrucksschwachen und verstaubten linken Parteien an. Zu lange hatte die politische Klasse aus Opportunisten und Schaumschlägern bestanden. Der damals 25-jährige Orbán traf den richtigen Ton für all jene, die das kommunistische System satt hatten. Wo andere nur ans Reformieren und eine möglichst schnelle Regierungsbeteiligung dachten, begriff sich der Fidesz als Fundamentalopposition, die sich die Zentren der Macht nicht mit Linken teilen wollte. Diese klare Positionierung, vereint mit seinem kämpferischen Auftreten, zeichnet ihn nunmehr seit 35 Jahren aus.

Dieser Blitz liefert eine Innenansicht des Wandels vom Kommunismus zu einem Nationalstaat, der ein Bollwerk gegen Überfremdung und liberalistische Umtriebe darstellt. Dieses Ungarn kann als Beispiel für neurechte oder rechte Bestrebungen in ganz Europa dienen.

Daher wird im Folgenden beschrieben, wie die ungarische Rechte zu ihrer heutigen Dominanz gekommen ist und unter welchen Bedingungen sich dieser Wandel vollzog. Die ersten Regierungen nach dem Systemwechsel waren sozialdemokratisch und liberal geprägt. Unter ihnen wurde die staatliche Wohlfahrt stark beschnitten. Die daraus resultierende Unsicherheit brachte Orbán 1998 zum ersten Mal an die Regierung. Während dieser vier Jahre wurde die Macht der linksliberalen Medien deutlich, die seine Regierung als ausgewiesenen Gegner behandelten. Ein Regieren gegen die öffentliche und veröffentlichte Meinung hatte sich als unmöglich erwiesen. Orbán hat dies schnell verinnerlicht und seine Partei auf einen neuen Kurs gebracht. Es wurde der Anschluss an gesellschaftliche Akteure gesucht und die Metapolitik in den Fokus gerückt. Orbán kennt Gramscis Theorie und weiß um die Macht der geistig-kulturellen Deutungshoheit.

Die hier formulierten Grundsätze liefern wichtige Erkenntnisse für patriotische Parteien und Gruppierungen in ganz Europa. Besonders beleuchtet wird das Zusammenspiel von Parlamentsarbeit und Metapolitik.